Die Schönheit der Unvollkommenheit
von Daniel Kinkelin
Menschen haben sich verändert. Sie wollen etwas aus ihrem Leben machen, aber nicht zwangsläufig etwas, das ihnen persönlich wirklich tieferen Sinn gibt. Sondern eher etwas, das von der Außenwelt als bedeutend wahrgenommen wird. Durch soziale Medien sind wir darauf konditioniert worden, alle Meilensteine und Besonderheiten unseres Lebens zu teilen. Es gibt dabei fast schon festgelegte Konventionen, was als besonders oder lebenswert gilt: Reisen, Jobs, persönliche Projekte, sportliche Ziele ...
Wir wollen als anders wahrgenommen werden. Wir wollen nicht in der Masse untergehen. Wir möchten nicht nur der Hauptcharakter in unserem eigenen Lebensfilm sein, sondern am besten auch in dem unserer Bekannten. Wird man gefragt, was man in den nächsten Tagen geplant hat, fühlt es sich fast unangenehm an, zu sagen: "Nichts."
Auf gar keinen Fall will man als jemand dastehen, der nicht leuchtet. Als jemand der langweilig ist und in der Masse verschwindet.
Ich selbst genieße es auch, besonders zu sein. Ich bin gerne gut in dem, was ich tue - vielleicht sogar der Beste. Ich präsentiere mich gern, zeige mich. Es fühlt sich gut an, Anerkennung zu bekommen und für etwas bewundert zu werden. Doch genauso ist es für mich vollkommen in Ordnung, zu verschwinden. Nicht präsent zu sein. Einfach da zu sein, ohne etwas zu leisten. Vielleicht sogar langweilig zu wirken. Kein Ziel zu haben. Keine Pläne zu machen. Mich einfach treiben zu lassen.
Beides hat seinen Platz in meinem Leben: das Streben - und das Loslassen.
Was ich dabei am meisten schätze, ist meine Fehlbarkeit. Meine kleinen Schwächen, Unsicherheiten oder Widersprüche. Sie sagen oft mehr über mich aus als meine Stärken. Denn Stärke ist häufig mit Erwartung verknüpft. Mit Anspruch und Leistungsdruck. In der Schwäche liegt dagegen etwas Echtes. Etwas Unverstelltes und Menschliches.
Die meisten Menschen werden sich später nicht an meine beruflichen Erfolge erinnern. Sie werden nicht wissen, wie viel Geld ich verdient habe oder welche Ziele ich erreicht habe. Was bleibt sind andere Dinge. Die Momente, in denen ich für jemanden da war. Die Hand auf der Schulter eines Freundes. Solche Momente hinterlassen oft mehr Eindruck als all meine Instagram-Posts zusammen. Es sind nicht die Highlights, die wir online teilen, die bleiben. Es sind die Begegnungen, die niemand sieht. Nicht das Bild, das wir inszenieren, sondern die Art, wie wir Menschen im echten Leben begegnen.
Es liegt in unserer Natur, besonders sein zu wollen. Doch heute messen wir dieses Besondere fast nur noch daran, wie sichtbar es für andere ist - nicht daran, wie echt es sich für uns selbst anfühlt.
In einer Welt, die nur strahlen will, findet man im Schatten die Freiheit.