„Es gibt immer ein Licht, man braucht keine Angst zu haben!“

Wie ist das, wenn man an dem Ort, den man liebt und an welchem man sein ganzes bisheriges Leben verbracht hat, nicht mehr bleiben kann?
Wie ist das, wenn man vor dem Grauen des Krieges flüchten muss?
Was gibt Hoffnung? Woher nimmt man die Tapferkeit und Zuversicht in all den dunklen Stunden?
Diese und einige weitere Fragen haben wir Alaa Tahhan und Beraa Hussein gestellt, denen wir bereits an dieser Stelle von ganzem Herzen für ein tiefgründiges Gespräch sowie die emotionalen und transparenten Einblicke in ihre bewegende Geschichte danken möchten

 

Es ist Donnerstag, der 08.06.2023.
Wir sind mit Alaa Tahhan (25) und Beraa Hussein (36) sowie ihren beiden Begleiterinnen Katarina Weigler und Sabine Otter in einem beschaulichen Café in der Schweinfurter Innenstadt verabredet.

Anlass des Treffens ist die bewegende Geschichte von Alaa und Beraa, auf die wir erstmals während des „49. Internationalen Filmwochenendes Würzburg“ aufmerksam wurden. In zwei eigenständig gedrehten und mehrfach ausgezeichneten Filmen berichteten Alaa und Beraa über den Schrecken des syrischen Bürgerkrieges, ihren Neuanfang in Deutschland und ihre unerschütterliche Hoffnung auf eine bessere Zukunft.

Alaa und Beraa sitzen uns am Tisch gegenüber. Sie lächeln beide freundlich. Wir bestellen einen Cappuccino, der trotz der hohen Temperaturen ungemein wohltut.

Ihre Kindheit, so beginnt Beraa, die in der Millionenstadt Aleppo aufgewachsen ist, sei sehr schön gewesen. Ihr Vater habe viel mit ihr gespielt, häufig habe man die Großeltern in einem kleinen Dorf mit wunderschöner Natur in der Nähe Aleppos besucht. Auch schulisch lief es bei Beraa stets hervorragend. „Ich war immer die Klassenbeste und Mathe war mein Lieblingsfach! Sogar meine Kinder lieben heute Mathe!“
Beraa strahlt, während sie erzählt. Es ist ihr anzumerken, dass sie sich gerne an ihr früheres Leben in Syrien zurückerinnert. Ein behütetes und unbeschwertes Leben, wie sie bestätigt.

Auch Alaa, die ihre Kindheit und Jugend ebenfalls in Aleppo verbracht hat, hatte mit 17 Jahren die gleichen Ziele wie die meisten Frauen ihres Alters.
„Ich wollte, wie viele Menschen, erst das Abitur machen und dann studieren!“, erzählt Alaa. „Am liebsten Pharmazie! Nur leider hat das nicht funktioniert, weil ich ja nicht alle Prüfungen absolvieren konnte.“ „Es war eigentlich alles ganz normal bei uns. Ich habe dann studiert, mein Mann hat gearbeitet und die Kinder gingen in die Schule. Und dann…“ Beraa hält einen kurzen Moment inne und zögert. Das Weiterreden fällt ihr sichtlich schwer. „Ich rede nur darüber, wie ich kann. Wenn es nicht mehr funktioniert, gebe ich Bescheid!“

Anschließend kommt Beraa auf den wohl entscheidendsten Einschnitt ihres bisherigen Lebens, den Bürgerkriegsbeginn in Syrien 2011, zu sprechen. Es ist der erste Moment des Gespräches, bei dem fühlbar wird, welches Grauen, welchen Schrecken die beiden jungen Frauen, die uns dennoch so selbstbewusst und stark gegenübersitzen, erleben mussten.

„Zuerst hat der Krieg an anderen Orten angefangen. Ich persönlich dachte nicht, dass es so schlimm werden würde, aber es wurde nicht mehr besser. Es kam immer näher zu uns nach Aleppo. Wir haben die Flugzeuge und die Soldaten gesehen. Als Kinder haben wir ihnen immer gewunken und plötzlich wurden sie zu einer Gefahr für uns. Ich bin doch Mutter, ich muss aufpassen, dass meine Kinder die Gefahr nicht fühlen.“ 

Beraa lächelt tapfer. „Ich habe auch als Lehrerin gearbeitet. Ich wollte den Kindern immer etwas beibringen, das ist doch meine Rolle! Aber jeder Tag wurde zu einer Gefahr für uns. Das Leben war schwer. Wir haben immer versucht weiterzumachen, aber irgendwann kamen die Panzer zu uns, es gab einen Bombenanschlag auf unser Haus, da konnte ich nicht mehr die starke Frau spielen. Dann sind wir zu einer Tante an der Grenze zur Türkei gefahren und dort erst einmal geblieben, bis wir von der UN die Möglichkeit bekommen haben, nach Deutschland zu kommen. Das war ein großes Geschenk.“           

Erneut hält Beraa einen kurzen Moment inne. „Als wir in Poppenhausen (Landkreis Schweinfurt) ankamen, waren wir nur am Lernen. Wir wollten mit den Menschen kommunizieren und der deutschen Gesellschaft zeigen, was wir erlebt haben, das hat nicht jeder gesehen, das hat nicht jeder gewusst. Wir wollten einen Neuanfang, wollten wieder leben. War es meine, war es unsere Schuld, dass wir Krieg hatten? Nein, es war nicht unsere Schuld!“

Beraa Hussein

 

„Man stellt sich diese Warum- Fragen!“, führt Alaa weiter aus. „Man fragt sich: Was passiert in meinem Land? Wir haben den Krieg früher nur in Filmen gesehen, aber wir haben niemals gedacht, dass wir ihn auch erleben müssen. Dabei waren wir früher doch eigentlich ein sicheres Land, auch als Frau musste man keine Angst haben. Und auf einmal traut man sich nicht einmal mehr auf den Balkon zu gehen. Man versucht sich zu Hause einzuschließen, man geht nicht mehr raus, man verfällt in Depressionen und fragt sich: Was habe ich in meinem Leben Schlechtes getan, dass ich so etwas erleben muss? Ich bin doch keine schlechte Person!“

Allerdings haben weder Alaa noch Beraa jemals die Hoffnung auf eine bessere Zukunft aufgegeben.„Ich habe mir immer gesagt: Alaa, du hast genug schlimme Dinge erlebt. Nein, du bleibst nicht immer die Person, sondern du schaffst das. Der Film war dabei wie eine Therapie für mich. Dort habe ich Dinge erzählt, die ich nicht einmal meinen Eltern erzählt habe. Ich bin stolz darauf, dass ich meine Ängste überwunden habe!“

 

Alaa Tahhan

 

Auch Beraa hat ihre Ängste überwunden. Geholfen hat dabei unter anderem die prägende Sichtweise ihres Vaters. 

„Er hat immer gesagt, wir suchen nach den positiven Dingen im Leben. Er hat gesagt, wir suchen immer nach dem Licht.“
Sie lächelt bekräftigend. „Als früher Flugzeuge über unserem Haus geflogen sind, haben sich immer alle versteckt und hatten Angst, aber ich bin auf das Dach gegangen und wollte das Flugzeug sehen, weil ich so wusste, wo die Gefahr ist. Ich war immer oben, ich hatte keine Angst und das wollte ich meinen Kindern beibringen. Man braucht keine Angst zu haben, es gibt immer ein Licht!“

Gegen Ende unseres Gespräches haben Alaa und Beraa noch ein wichtiges Anliegen. „Mit den Filmen wollten wir zeigen: Vielleicht sehen wir erst einmal anders aus, aber wir sind alle Menschen!“, beginnt Alaa. „Uns eint die Menschlichkeit!“
„Wir sollten uns, wenn wir können, viel mehr zusammensetzen!“, bestätigt Beraa. „Jeder hat erst einmal Angst vor Anderen, aber reden wir zusammen, wir können so vieles zusammen machen! Wir haben das gleiche Blut, das gleiche Herz!“

 

Alaa Tahhan (25) und Beraa Hussein (36). Zwei Frauen, denen der Krieg so viel Kummer und Leid beschert, der ihnen so viel genommen hat und die dennoch eines niemals verloren haben: Ihre unerschütterliche Zuversicht.

 

Von Jannis und Maximilian